Wir alle haben eine Mutter, die uns zu der Frau gemacht hat, die wir heute sind. Und ob wir wollen oder nicht, unsere Beziehung zu unserer Mutter war und ist eine der prägendsten unseres Lebens.
Egal wen wir „Mutter“ genannt haben (ob leiblich oder nicht), diese Frau hat auf unser gesamtes Leben einen nicht zu unterschätzend großen Einfluss. Jede von uns kennt die Stimme ihrer Mutter im Kopf, deren Tonfall und Zuwendung liebevoll und unterstützende bis herrisch und vernichtende Ablehnung sein kann und eine subtile, aber starke Auswirkung auf unsere Entscheidungen und Verhaltensweisen ausübt, bis heute.
Möglicherweise war es nicht die Art von Mutter, die wir eigentlich gebraucht hätten. Meistens geschehen die Verletzungen, die den eigenen Kindern zugefügt werden, unbeabsichtigt, z.B. durch (körperliche wie geistige) Abwesenheit oder einfach die Lebensumstände. Vielleicht durch ihre Handlungen oder auch gerade ihre fehlenden Handlungen. Manchmal sogar durch körperlichen und/oder emotionalen Missbrauch bis hin zu vorsätzlicher Boshaftigkeit. Zumeist haben unsere Mütter bereits nicht die Mutter gehabt, die sie eigentlich gebraucht hätten, um tiefe natürliche mütterliche Liebe selbst zu erfahren und diese dann an die eigenen Kinder weiterzugeben. Die aus diesen Verletzungen entstandene/n Wunde/n, beeinflussen uns nachhaltig darin, wer wir sind und wie wir sind. Die teilweise fatalen Auswirkungen beeinflussen unsere heutigen Beziehungen zu unserem*r Partner*in, unseren Kindern und uns selbst – und zwar sehr viel mehr und nachhaltiger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Um diese teils sehr tiefe/n Wunde/n zu heilen, gibt es verschiedene Möglichkeiten und jede findet ihren eigenen Weg und Umgang damit. Ich möchte dir hier einen kleinen Einblick geben, wie mein Weg damit war (und ist) und wie ich heute mit meinen Klientinnen an diesem Thema arbeite.
Vereinfacht gesagt, muss die „innere Mutter“, die eine Art Doppelgängerin unserer äußeren Mutter ist (und eben gewisse Mängel und Defizite hat/te), in eine Art innere Mutter verwandelt werden, die uns „nachbemuttern“ und unsere Bedürfnisse erfüllen und uns die Sicherheit bieten kann, die wir brauchen, um unsere ganz individuellen und einzigartigen Begabungen und Fähigkeiten voll auszuschöpfen. Und in dieser menschlichen Fähigkeit liegt ein großes Geschenk für uns: diese ideale innere Mutter können wir selbst für uns werden.
Wenn wir uns dann von innen heraus immer sicherer und mehr und mehr unterstützt fühlen, sind wir zunehmend in der Lage, über unseren ererbten „mütterlichen Horizont“ hinaus zu einem höheren Maß an Erfüllung, Freude, Verbundenheit, Verwandlung und individueller Einzigartigkeit zu gelangen.
Das kann ein sehr langer und teilweise steiniger Weg sein. Ich war auch manchmal an dem Punkt, an dem ich dachte, ich hätte das alles lieber bleiben lassen sollen. Es fühlte sich teilweise noch schlechter an als vorher. Aber (und zwar ein ganz großes!): der Weg lohnt sich! Denn er bringt viel zurück, was durch den Schmerz zunächst verloren schien. Ein Gespür für mich selbst, größeres Verständnis und Akzeptanz für mich, auch ein intensiveres Erleben meiner Gefühle (positive wie "negative"). Für mich hat sich dadurch so viel verändert und ich habe so viel für mich erreicht! Und ich bin so stolz auf mich und meinen Mut, dass ich diesen Weg gegangen bin. Damit aber nicht genug. Ich glaube, es gibt nicht den einen letzten Moment, in dem die Heilung „vollendet“ ist. Zack, fertig. Ich persönlich mag auch das Wort Heilung nicht besonders. Ich ziehe Wandel, Veränderung, innere Befriedung oder auch Vernarbung vormals offener Wunden als Begrifflichkeiten vor. (Wie du es nennen magst, ist natürlich dir selbst überlassen.)
Alltägliche Auslöser alter Schmerzpunkte sind immer wieder wunderbare Gelegenheiten (das kann ich auch erst heute sagen), meine Vergangenheit noch tiefer zu befrieden, mir neue Erkenntnisse und Möglichkeiten zu eröffnen, Entscheidungen zu treffen oder andere Perspektiven einzunehmen – und mich dabei immer tiefer kennenzulernen.
Dir die Zeit zu nehmen, um deine „Mutterwunde“ zu heilen, ist vielleicht sogar die
wichtigste persönliche Entwicklungsarbeit, die du (gerade als Mama!) jemals leisten wirst. Denn das versöhnt tatsächlich nicht nur dich selbst, sondern ebnet den Weg für zukünftige Generationen
und verändert die Gesellschaft als Ganzes. Das mag sehr abstrakt klingen, entspricht aber meiner tiefsten Überzeugung. Denn durch die eigene Aufarbeitung können wie mit den Menschen um uns herum
ganz anders in Beziehung gehen, ganz andere Verbindungen aufbauen, tiefer, wahrhaftiger, mitfühlender und liebvoller. Und das hat Auswirkungen auf unser ganzes Sein. Und es ist unser größtes zu
gebendes Geschenk an unsere Kinder.
„One generation of deeply loving parents would change the brain of the next generation, and with that, the world.” (Charles L. Raison, *1957, amerik. Psychiater)
Word!
Was ist deine Meinung zu diesem Thema? Wie sind deine Erfahrungen? Ich freue mich über Kommentare von dir!
Alles Liebe von MamaHerz zu MamaHerz
Kathrin
P.S.: Ich möchte mit meinem Text niemanden ausschließen oder vor den Kopf stoßen. Mir ist bewusst, dass das oben beschriebene in vielerlei Hinsicht natürlich auch für Väter und Söhne sowie für Mütter und Söhne gilt. Doch wir sind hier bei MamaMorphose und ich möchte mich hier und heute nur auf diesen einen rein weiblichen Aspekt beziehen.
P.P.S.: Die Begrifflichkeit der „Mutterwunde“ wurde übrigens zuerst von Bethany Webster geprägt, einer amerikanischen Psychologin und Psychotherapeutin. Bei ihr hat die Mutterwunde noch eine weitere Dimension: sie bezieht dabei, neben dem von mir oben beschriebenen Schmerz, auch den Schmerz mit ein, den wir Frauen in männlich dominierten Gesellschaften über Generationen von Frauen unbewusst und ungewollt immer weiter reichen - und der Frauen auch heute noch einen sehr hohen Preis für die Mutterschaft abverlangt. – Aber dazu dann an anderer Stelle mehr. ;-)
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